Eine Abendveranstaltung in einer Künstlerbar. "WG", Malkasten, Düsseldorf, 2004

Statt des angekündigten Vortrages lief auf einem Monitor im Raum ein 35 minutiges Video, das mich beim Lesen zeigte. Kopien der Textarbeit wurden ausgelegt.

Projekt for "WG", Malkasten, Düsseldorf 14/10/2004

GEPLANT:

LEBENSFÜHRER II.5:

Kapitel II Notwendiges Wissen

5. Was sind schwarze Löcher?

Vortrag

Der Vortrag trägt den Titel Was sind schwarze Löcher? und ist eine der möglichen Realisationsformen der Arbeit Lebensführer II.5: Notwendiges Wissen: Was sind schwarze Löcher?

REALISIERT:

Während der Vorbereitung des Vortrages sah ich mich zunehmend mit Fragen konfrontiert, die die Legitimität meines Vorhabens ernsthaft in Zweifel stellten, und mich letztendlich dazu gezwungen haben, den Plan aufzugeben, die Arbeit Was sind schwarze Löcher? in dieser Form zu realisieren. Als Ergebnis dieses Konfliktes kam die folgende Arbeit neu zum Lebensführer hinzu:

LEBENSFÜHRER VI(B).5:

Kapitel VIKunstmachen

Teil B Strategien

5. Auswege aus dem Scheitern

Beispiel: „Was sind schwarze Löcher?“

Vortrag (geplant, nicht realisiert), Erläuternder Text, Video

ERLÄUTENDER TEXT

Probleme, die zum Verwerfen des geplanten Vortrages Lebensführer II.5:

Was sind schwarze Löcher? führten.

Die Probleme kamen bei der Überlegung, wie der Vortrag Was sind schwarze Löcher? in meine künstlerische Praxis zu integrieren wäre. (Anm. „Vortrag“ ist eine strategische Bezeichnung, die als Teil des Titels zu verstehen ist. Da der Vortrag ganz klar innerhalb einer künstlerischen Praxis positioniert ist, muss er eigentlich als Performance verstanden werden). Um die Arbeit Was sind schwarze Löcher? zu realisieren, wählte ich die Form eines Vortrags, zum einen als die logischste Form um faktische Inhalte zu kommunizieren, und zum anderen, weil das Forum für die Realisation der Arbeit auf einen Abend begrenzt ist und nach Realisationslösungen mit Veranstaltungscharakter verlangt. Am Anfang schienen die Probleme eher praktischer Natur zu sein, wie die Frage nach der Form und dem Inhalt des Vortrags selbst oder wie ich mich als Vortragende zu positionieren hatte. Langsam wurde mir aber klar, dass diese auf den ersten Blick rein praktischen Probleme zu einem konzeptuellen Minenfeld zu werden drohten. Meine Versuche, diese Probleme zu lösen, endeten letztendlich im Scheitern.

Zum Lebensführer: Der Lebensführer, obwohl selbstverständlich mit bestimmten konzeptuellen und inhaltlichen Aussagen verknüpft, ist vor allem eine künstlerische Strategie, die von meinen persönlichen künstlerischen Bedürfnissen bestimmt wird. Der Lebensführer bietet mir ein gewisses Gefühl von Rückhalt, oder besser, eine Illusion von Rückhalt innerhalb der sonst fast unerträglichen Beliebigkeit und Selbstgefälligkeit einer künstlerischen Praxis, die selbst innerhalb der sonst fast unerträglichen Sinnlosigkeit des Lebens stattfindet.

Bei der Vorbereitung des Vortrages wurde es mir zunehmend klar, dass die Art, auf die ich mich als die Vortragende positioniere, absolut kritisch für die richtige Rezeption der Arbeit ist. Ich hatte schon sehr viel über schwarze Löcher und Physik im Allgemeinen gelesen und hatte mich dabei bemüht, alles gründlich genug zu verstehen, damit das Übermitteln des Wissens an andere möglich werden könnte. Je mehr ich aber las, desto klarer wurde mir, wie wenig ich eigentlich weiß, dass ich keine Astrophysikerin bin und deshalb mit bestem Willen die Gefahr nicht ausschließen könnte, dass ich im Vortrag inkorrekte Information weitergeben würde.

Mein Status als nicht Expertin war mir natürlich von Anfang der Planung an bewusst. Ich glaubte auch nie ernsthaft, ich könnte genug lernen, um das zu ändern, und hatte das auch nicht vor. Mein begrenztes Wissen hielt ich aber ursprünglich für völlig unproblematisch, da der Performancestatus der Arbeit für mich das Wesentliche war. Ich glaubte, in der Arbeit gehe es weniger um Inhalte als um den Vortrag als Vortrag an sich, als Symbol für das Ermitteln von Wissen. Ich glaubte, mein Unwissen und die gleichzeitige Behauptung Expertin zu sein wären in diesem Fall von Vorteil, da sie zur gewünschten ironischen Distanz zum vorgetragenen Inhalt, die zum Begreifen des konzeptuellen Inhalts nötig ist, sogar beitragen würde.

Je mehr ich aber las, desto engagierter und begeisterter wurde ich dem erlernten Material gegenüber, und als mir dadurch der Informationsanteil des Vortrags immer wichtiger wurde, bekam ich langsam das Gefühl, es könnte unloyal sein, dieses Wissen als Vehikel für eine konzeptuelle Aussage auszunutzen. Letztendlich merkte ich, dass die eigene ironische Distanz komplett weg war, und das Wissen über schwarze Löcher mir so notwendig vorkam, dass ich es für meine künstlerische Zwecke mit gutem Gewissen nicht mehr ausnutzen könnte.

Daraufhin entschied ich mich, ein anderes, vielleicht lieber banales Vortragsthema auszusuchen, bei dem der Informationsanteil eher unwichtig sein würde, und was problemlos für Wissen als Konzept stehen könnte. Da ich aber schon einmal etwas tatsächlich Notwendiges in das Kapitel Notwendiges Wissen aufgenommen hatte, war ich schließlich doch nicht dazu bereit, die Intentionen des Lebensführers zu verspotten, in dem ich erlaubte, dass etwas völlig Überflüssiges als notwendig klassifiziert würde.

Danach beschloss ich, trotz meines Wissensmangels den Vortrag so gut wie ich könnte zu halten, mein Status als Nicht-Expertin ganz offen zu legen, und einfach zu versuchen, mein vorhandenes Wissen zu vermitteln, ohne verborgene konzeptuelle Absichten. Ich müsste dabei die Tatsache willentlich ignorieren, dass der Vortrag, da er innerhalb einer künstlerischen Praxis stattfindet, eigentlich eine Performance ist, denn eine Performance hat immer eine verborgene konzeptuelle Absicht. Aber vielleicht würde meine Haltung der willentlichen Naivität, wenn ich sie mit ausreichend Kraft und Konsequenz durchziehen würde, alle Deutungsversuche an sich abgleiten lassen, und es würde den Zuhörern nichts anderes übrig bleiben, als sich auf den Inhalt des Vortrags zu konzentrieren.

Also überlegte ich, für welche Zuhörer ich den Vortrag gestalten sollte, und es wurde mir schnell klar, dass der Vortrag auf Zuhörer ohne jegliche Vorkenntnisse ausgerichtet werden müsste, da das mitgeteilte Wissen notwendige ist und deshalb auf eine solide Wissensgrundlage aufgebaut werden müsste. Ich dürfte nicht mit dem Risiko spielen, dass einige Zuhörer ein mangelhaftes Verständnis bekommen, weil ich unentbehrliche Informationen weggelassen habe, nur weil ich irrtümlich davon ausgegangen bin, es würde zum Allgemeinwissen gehören. Ich war mit dieser Strategie zufrieden, bis mir einfiel, dass der Lebensführer eigentlich mein Lebensführer ist und nie als für andere relevant behauptet werden kann. Also ist meine Zuhörerposition die einzig relevante. Aber ich kann keinen Vortrag über schwarze Löcher halten so wie ich ihn als Zuhörer gerne hätte, weil ich mir selber nichts beibringen kann, und etwas mir vorher Unbekanntes als Performance vorzulesen, ist schädlich für den Wissenserwerbsprozess weniger wissender Zuhörer.

Nebenbei machte ich mir auch Gedanken über Authentizität und stellte fest, dass der Lebensführer von Momenten der vermeintlichen Authentizität lebt (obwohl die Kunst natürlich nie wirklich authentisch sein kann, da sie immer konstruiert ist). Es kann im System des Lebensführers nichts daran authentisch sein, dass ich aufstehe und einen Vortrag halte, der nicht für mich gemeint ist. Der Akt wäre sogar noch künstlicher, da ich für eine klare Kommunikation in diesem Kontext den Vortrag auf Deutsch halten müsste, obwohl das Wissen in meinem Kopf eigentlich auf Englisch ist.

Aber das Problem, was die Lösung, trotz meines Wissensmangels den Vortrag so gut wie ich könnte zu halten, endgültig ausschloß, war, dass ich als tatsächliche Nicht-Expertin die Gefahr immer noch nicht ausschließen könnte, etwas faktisch Falsches zu erzählen. Es wäre egal, dass ich mich offen und ehrlich zu dieser Gefahr bekennen würde, es würde immer noch zum Weiterbreiten von falscher Information beitragen und wäre dadurch ein Verrat am für mich notwendigen Wissen.

Ich überlegte auch, einen Experten einzuladen, der an meiner Stelle den Vortrag halten würde, aber das hätte zwar die Gefahr der Verbreitung falscher Information beseitigt, wäre aber innerhalb des Lebensführers unvertretbar gewesen. Der Vortrag hätte immer noch Teil des Lebensführers sein müssen, da ich mich für das Kunstmachen interessiere und nicht für Veranstaltungsorganisation, aber ich hätte gleichzeitig die inhaltliche Kontrolle an einen anderen abgeben müssen. Dadurch hätte es dazu kommen können, dass der Expertenvortrag, durch hinzugefügte oder ausgelassene Informationen meinem Gefühl der Notwendigkeit nicht mehr entsprochen hätte. Genauso wie allein meine Bedürfnisse den Inhalt des Lebensführers bestimmen müssen, müssen allein meine Gefühle der Notwendigkeit den Inhalt des Kapitels Notwendiges Wissen bestimmen.

Am Schluss fiel mir ein noch fundamentaleres Problem ein, das mein Vorhaben, einen Vortrag über schwarze Löcher zu halten, in jeglicher Form unmöglich machte. Es war die Zuordnung des Vortrags zum Kapitel Notwendiges Wissen. Es ging nicht darum, dass ich das Gefühl habe, Was sind schwarze Löcher? wäre in diesem Kapitel fehl platziert: wenn ich nichts über schwarze Löcher weiß, habe ich das erforderliche Mangelgefühl, um das Wissen als notwendig einstufen zu können. Objektiv gesehen sind vielleicht andere Sachen genauso wichtig, aber ich leide unter kein Gefühl vom Wissensmangel, wenn ich sie nicht weiß (oder auf jeden Fall nicht so stark - es ist natürlich eine Frage des Grades, da es schön wäre, alles zu wissen). Aber wenn ich einen Vortrag halte (oder einen Vortrag veranstalte, oder vielleicht sogar Wissen in irgendeiner Form verbreite), dessen Inhalt dem Kapitel Notwendiges Wissen zugeordnet ist, behaupte ich zwangsläufig, dieses Wissen sei für jeden notwendig (sonst müsste das Kapitel „Wissen, das ich für notwendig halte“ heißen). So eine Behauptung ergibt keinen konzeptuellen Sinn innerhalb des Lebensführers.

Der Lebensführer (mitsamt des Kapitels Notwendiges Wissen) wurde einzig für meine eigenen persönlichen Bedürfnisse gestaltet. Das heißt, ein Vortrag, dessen einziger Sinn ein Weitergeben von Informationen an anderen sein müsste, ist konzeptuell nicht zu rechtfertigen. Der didaktische Moment, der im Kontext eines Vortrages zwangsläufig vorkommt, ist extrem heikel innerhalb einer künstlerischen Strategie (sprich der Lebensführer), die mit genau diesem Didaktikanspruch spielt, aber sich immer vor dem Moment der Festlegung entziehen kann, in dem nie behauptet wird, irgendjemandem außer mir was beibringen zu wollen (dies ist auf jeden Fall meine Absicht). Ursprünglich dachte ich, der Status des Vortrags als Performance würde im entscheidenden Moment die notwendige Distanz erzeugen, so dass die Didaktik immer noch in Frage gestellt werden könnte. Als ich den Vortrag vorbereitete, wurde mir aber klar, dass es hier mein grundlegender Wunsch ist, tatsächlich etwas beizubringen. Als ich das feststellte, erkannte ich, dass der geplante Vortrag keinen Platz in meiner Arbeit hat.