Ein Vortrag, nuans Sommerakademie, Köln, 2009

Mein persönlicher Zugang zur Kunst (7.7.2009)

Dieser Vortrag geht um meinen persönlichen Zugang zur Kunst. Wie Sie sehen, bin ich nicht hier, also nehmen Sie sich eine Kopie des Textes und fangen Sie ohne mich an.

Wenn ich hier wäre, würden Sie hören, dass ich Englisch als Muttersprache habe - das erklärt die Deutschfehler und komische Formulierungen, die Sie im Vortrag bestimmt finden werden.

Meine Gründe zum Vortrag nicht körperlich zu erscheinen sind zum Teil fraglos persönlicher Natur: Die Vorstellung, mich 90 Minuten vor Unbekannten hinzustellen und für sie eine Veranstaltung zu gestalten macht mich extrem nervös und gestresst. So etwas lässt sich sicherlich nicht immer vermeiden, aber in diesem Fall, glaube ich das rechtfertigen zu können. Mein persönlicher Zugang zur Kunst lässt sich genauso gut als gelesener Text anstelle von vorgelesenem Text vermitteln, wenn nicht als Gelesener sogar besser, da ich bei einem so wesentlichen Thema Fehler beim Vorlesen durch Nervosität oder Missverständnisse durch meinen englischen Akzent ausschließen will. Außerdem bin ich körperlich relativ eingeschränkt, was zufolge hat, dass eine Fahrt von Düsseldorf nach Köln und zurück mit extrem Anstrengungen verbunden und 90 Minuten zu stehen sowieso ausgeschlossen wäre. Aber genug die feigen und faulen Ausreden.

Zum Glück kann ich im Kontext meiner Arbeit eine viel triftigere konzeptuelle Begründung für meine Abwesenheit finden. Zentral zu meiner Arbeit ist die Herstellung einer gewissen Distanz zwischen mir als schaffende Künstlerin und dem Betrachter. Dass dieser Vortrag als künstlerische Arbeit zu verstehen ist, ist daran zu erkennen, dass er mit einem Titel verstehen ist, der ihm eine Position innerhalb des Lebensführer zuweist. Also sind Sie der Betrachter. Ich könnte die nötige Distanz zwischen uns bestimmt durch performative statt rein physikalische Strategien herstellen, aber ich bin kein Performancekünstlerin und will auch keine werden (und das hat nichts mit konzeptuellen oder ästhetischen Überzeugungen zu tun, aber ich bin dafür einfach nicht gebaut - siehe persönliche Gründe, warum ich nicht hier bin). Diese Distanz hat damit zu tun, dass ich leidenschaftlich (oder vielleicht neurotisch) versuche, eine feste Deutung meiner Arbeiten unmöglich zu machen. Zu diesem Zweck habe ich den Lebensführer entworfen und alle meine Arbeiten darin eingeordnet. Der Lebensführer täuscht eine vermeintliche konzeptuelle Entschlossenheit seitens Künstler und Arbeiten vor. Durch das Einordnen im Lebensführer bekommen die Arbeiten eine feste Bedeutung zugeteilt, die in ihre Eindeutigkeit im Besten Fall im Widerspruch mit der erhofften Komplexität eines direkten Erlebens der künstlerischen Arbeit stehen soll, oder im schlimmsten Fall zumindest ein Überlegungsprozess auslöst, ob die zugeteilte Bedeutung zutreffen könnte.

Aber jetzt sollen wir zur Substanz des Vortrages kommen: Im Beschreibungstext der nüans Sommerakademie steht, dass Dozenten eingeladen werden, um ihre persönlichen Zugang zur Kunst zu vermitteln. Das ist ein sehr großes Thema, finde ich. Wo soll man damit anfangen?

Am Besten fange ich mit einer grundsätzlichen Aussage an:

Meine Arbeit wird von einer nostalgischen Sehnsucht getrieben. Eine Sehnsucht nach einem romantischen Traum von Kunst - was sie bedeutet, was sie leisten kann. Ich sehne mich nach einer Zeit, in der die Künstler eine richtige Aufgabe zu haben schienen. Sie waren wie Auserwählten, die als Einzige die Wahrheit sprachen. Sie waren getrieben von einem Gefühl der eigenen Wichtigkeit, der eigenen Notwendigkeit, weil sie wussten, dass sie lebenswichtige Botschaften zu vermitteln hatten. Ich glaube natürlich nicht ganz, dass es wirklich so war, aber die Romantik ist verdammt hartnäckig, und währenddessen wird mein Künstlerdasein geprägt von verzweifelter Hoffnung, tiefe Enttäuschung, und Selbstvorwürfe, weil ich das Unerreichbare nie erreichen kann.

Dieser Traum ist für die eigene Arbeit nicht unbedingt produktiv. Viel produktiver wäre sicherlich ein entspanntes Genießen des Arbeitsprozesses, eine Freude daran, dass ich überhaupt dazu gekommen bin, Kunst zu machen. Weil, abgesehen davon, dass ich bisher das Kunstmachen als das Einzige entdeckt habe, was ich einigermaßen gut kann (und diese Aussage kann man so oder so sehen: als Entdeckung einer wahren Bestimmung oder als Erkenntnis eine tiefe Lebensuntüchtigkeit, stimmt wahrscheinlich Beides aber es ist egal - ist sowieso nicht zu ändern), Kunst zu machen ist auch an sich eine ganz schöne Sache. Manchmal kann man dadurch sogar einen kurzen Moment der Erfüllung erleben. Ob produktiv oder nicht aber, habe ich den Verdacht, dass ein Streben nach dem Unerreichbaren einfach zum Kunstmachen dazugehört. Ich hätte Wissenschaftlerin werden sollen, dann hätte ich ein konkretes Ziel vors Auge - bestimmt genauso unerreichbar in einem Leben, aber das Ziel wäre zumindest beschreibbar. Als Wissenschaftlerin könnte ich sagen, ich will alles wissen, ich will verstehen, wie Alles funktioniert und die Regeln, die Alles bestimmen. Als Künstlerin kann ich nur sagen, ich will. Ich will aber, ich will wirklich. Meine Wille treibt mich weiter, aber wohin habe ich keine Ahnung.

Vielleicht muss ich erstmal überlegen, was die Kunst überhaupt ist. Die Kunst empfinde ich manchmal als etwas extrem kompliziertes, manchmal als etwas extrem einfaches. Manchmal ist es sehr mühsam, eine Arbeit zu produzieren, manchmal sehr leicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich so ein komplexes Geflecht von visuellen und konzeptuellen Perspektiven abwägen muss, dass mein Hirn überfordert ist. Es ist ein Kampf, die Arbeit zu einer vernünftigen künstlerischen Aussage zu bringen. Manchmal aber fließt alles mühelos aus mir heraus. Ich habe das Gefühl, dass die Arbeit selber die Kontrolle übernimmt und von sich aus eine klare Aussage macht. Am Schluss aber macht es kein Unterschied. Läuft alles zu einfach, bin ich sehr misstrauisch. Ich kann nicht begründen, warum ich die Arbeit als gelungen empfinde. Bei so einer offensiven Klarheit und Einfachheit muss ich fragen was dahinter steckt und dann wird alles kompliziert.

Das ist das Problem bei der Kunst: Einerseits gibt es nichts zu verstehen, andererseits so viele Fragen, dass ich mich frage, ob es überhaupt zu verstehen ist.

Die erste Arbeit innerhalb des Lebensführers ist Lebensführer I.1: Philosophische Grundlagen: Grundprinzipien. Sie ist eine sehr kurze Textarbeit bestehend aus die drei einzige Aussagen, die ich nach langem Überlegen uneingeschränkt als wahr einstufen konnte: Faschismus ist schlecht, Kunst ist Wichtig, Gott existiert nicht. Im Kontext dieses Vortrages ist Faschismus nicht relevant, und da ich den Vortrag (künstlerische Arbeit) produziert habe und Sie ihn lesen (betrachten), können wir einfach davon ausgehen, dass der Kunst eine (vielleicht nur temporäre aber für diesen Moment und in diesem Kontext auf jeden Fall ausreichende) Wichtigkeit zugeteilt wird. Die Frage von Existenz oder nicht Existenz von Gott aber gestaltet sich als viel problematischer, sobald man anfängt grundsätzliche Überlegungen über die Kunst zu machen.

Als ich klein war, bin ich öfters mit meiner Oma zur National Gallery in London gefahren. Dort gab es ein Raum, der extra für ein Wasserlilien Gemälde von Monet gebaut wurde. Als ich auf der Bank davor saß und mir das Bild angeschaut habe, hatte ich das Gefühl ich sitze allein mit dem Bild in vollkommener Stille, meine Gedanken waren weg und mein Kopf war gefüllt mit einem weißen Rauschen. Ich war zutiefst glücklich. Ich fand das Bild so schön. Ich habe die Transzendenz erlebt. Zu Hause hatte ich eine eingerahmte Postkarte von Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring und ich hatte zu dem Bild eine innige Beziehung. Ich habe mit ihm gesprochen und abends vor dem Zubettgehen geküsst. Wenn mein Verhältnis zur Kunst sich seit dem geändert hat, dann nur indem mir jetzt vielfältigere Strategien zur Annäherung der Kunst zur Verfügung stehen. Einige Aspekte einer Arbeit können mich ansprechen und andere nicht. Ich kann eine Arbeit als partiell schön empfinden. Ich habe gelernt mit Gedanken und Wörter eine Arbeit zu sezieren, um meine Gefühle zu begründen. Das funktioniert aber nur zu einem gewissen Grad. Ich habe trotzdem geweint als ich Dürers Selbstbildnis in Madrid gesehen habe. Und ich kann mich nicht wirklich (kann ich natürlich schon, aber nicht wirklich) davon überzeugen, dass Dürer nicht weißt dass ich da bin und dass wir nicht eine besondere Beziehung zueinander haben.

Was mich aber richtig beunruhigt, und für mich die Fragen nach Schönheit und Transzendenz auf die Spitze treibt, ist dass ich manchmal von Arbeiten erwischt werde, die ich absolut nicht mag. Das passiert vor Allem bei der Malerei (beunruhigend weil ich mit der zeitgenössischen Malerei eigentlich nichts anfangen kann), wo ich eine bestimmte Geste oder ein Zusammentreffen von Farbe auf Leinwand als absolut schön empfinde. Mein Kopf ist wieder leer, das Rauschen kommt, die Transzendenz ist da. Und ein Sezieren des Bildes mit Wörtern oder Gedanken ändert nichts daran. In der Videoarbeit Lebensführer V(A).16: Schönheit(Analyse): Video ohne Inhalt, die hier auf dem Monitor läuft, gibt es eine bestimmte Stelle wo einige Haare sich ganz langsam vor einem schwarzen Hintergrund über den Bildschirm bewegen. Bei dieser Stelle erlebe ich wieder die Transzendenz. (Eine Nebenbemerkung: Dieses Video ist ein sehr gutes Beispiel von einem Einordnungswechsel einer Arbeit innerhalb des Lebensführers. Ursprünglich war die Arbeit ein Selbstporträt im Lebensführer IV(A): Autobiografie(Lebensgeschichte). Dann wurde ich von dieser Stelle erwischt und mir wurde klar, dass die Kernaussage der Arbeit eigentlich nicht zur Fragestellung über das Konstruieren des Ichs und die Erfindung oder Behauptung der persönlichen Geschichte hingehört. Die Arbeit wurde dann zum Lebensführer V(A): Schönheit(Eine Sammlung) umgesiedelt). Was ich mich frage, in dieser Video Arbeit ganz gezielt, aber in meine Arbeit in Allgemein auch, ist: Was bedeutet der Moment der Transzendenz? Ist nicht implizit in der Transzendenz ein Kontakt zu etwas außerhalb von mir, was Großes und Universelles? Was kann das sein, wenn ich die Existenz von einem Gott, wie immer man sich das Konzept von Gott vorstellen mag, kategorisch und mit voller Überzeugung verneine?

Mir ist sehr wichtig, eine gewisse Vorsicht im Umgang mit solchen Momenten der Transzendenz zu pflegen. Ohne die schöne Erfahrungen mit der Kunst abzuwerten, was grauenhaft wäre, muss ich acht geben, dass ich nicht ins fehlerhafte Denken hinabrutsche. Fehlerhaftes Denken wäre in diesem Fall ein blindes Genießen des Momentes ohne Berücksichtigung meiner mir sehr wichtigen Kernprinzipien. Blindes Genießen will ich mir nicht enthalten, aber es muss das Resultat einer bewussten Entscheidung sein.

Zum Glück, bin mir aber ganz sicher, dass man Gott zur Aufklärung der Transzendenz nicht braucht. Das Gefühl von Transzendenz ist bestimmt ein rein biologischer Ablauf im Gehirn. Wenn wir Schönheit erleben, werden wahrscheinlich ganz bestimmte Botenstoffe von den Neuronen im Gehirn freigesetzt, die uns in ein Gefühl der Transzendenz versetzt. Wahrscheinlich hat dieser Vorgang entweder immer noch eine praktische Funktion, oder hatte früher eine praktische Funktion. Vielleicht bringt die Fähigkeit des Gehirns, uns in ein Gefühl der Transzendenz zu versetzen, irgendwelche schleierhaften Evolutionsvorteile. Aber sogar wenn diese Fähigkeit überhaupt kein praktisches Nutzen hat, sobald sie rein zufällig entstanden ist, werden die zuständige Verbindungen im Hirn bei jeder Wiederholung verstärkt, sowohl in jedem von uns einzeln als auch, durch die Vererbung, in der Spezies. Und diese Wiederholungen werden sicher kommen, weil wir das Gefühl genießen, es immer wieder herstellen wollen werden, und deshalb das, was das Gefühl auslöst, immer wieder aussuchen werden.

Mir ist klar, dass ich entscheidend zu wenig über Biologie weiß, um hier was Vernünftiges zu erzählen, aber als ich vorhin „schleierhafte Evolutionsvorteile“ geschrieben habe, fing ich an zu überlegen, was diese Vorteile möglicherweise sein könnten. Ein Paar Gedanken will ich dann trotzdem aufschreiben, obwohl ich es eigentlich unverzeihlich finde, wenn ignorante Leute sich irgendeine Quatschwissenschaft ausdenken und nachher das Bedürfnis haben, die der Welt mitzuteilen. Ich sage nur im Voraus, dass es mir Leid tut.

Letztens habe ich in einem Hundeerziehungsratgeber über ein Gründgefühl bei Tieren gelesen, was im Buch Suchen genannt wurde. Suchen ist das Gefühl von Neugier oder Erwartung, das entsteht, wenn ein Tier mit etwas Unbekannten konfrontiert ist. Das Gefühl kommt im Augenblick, in dem noch nicht entschieden ist ob Angst eintritt oder das Unbekannte weiter erforscht wird. Es ist wie ein Moment der Stille. Im Buch steht, dass Suchen sich ganz schön anfühlt und man deshalb bei der Hundeerziehung dieses Gefühl so oft wie möglich erwecken soll, damit der Hund Spaß am Lernen hat. Das Gefühl ist was Schönes, weil es sein könnte, dass aus etwas Unbekanntem was Gutes kommt. Es ist eine spannende Erwartungshaltung. Ich habe überlegt, dass die Transzendenz wahrscheinlich das gleiche Gefühl ist, aber in der Länge ausgedehnt. Wir werden in dieser schöne, spannende Erwartungshaltung gehalten. Ich stelle mir das Suchen oder die Transzendenz wie eine gesteigerte Form der Aufmerksamkeit vor. Wenn der Kopf gedankenleer ist, kann die Wahrnehmung von nichts abgelenkt werden, und wir können alle Eindrücke einsammeln. Früher konnten wir bestimmt diese gesteigerte Aufmerksamkeit gut nutzen, um Unbekanntes in der Umwelt genau zu studieren, um sie als gefährlich oder ungefährlich einzuschätzen. Rein praktisch sorgt dieses gute Gefühl dafür, dass wir das Unbekannte aussuchen wollen, was zur Folge hat, dass wir alle Gelegenheiten ausnutzen, in der wir möglicherweise etwas zu essen oder einen guten Platz zum Schlafen finden könnten. Wenn wir alles Neues fürchten würden, würden wir nicht überleben. Suchen macht uns neugierig und dadurch sammeln wir neue Erfahrungen, und je mehr wir kennen, desto weniger fürchten wir und desto mehr haben wir das Gefühl, wir sind sicher und die Welt ist unter unsere Kontrolle.

Angst ist natürlich lebenswichtig aber zu viel Angst bedeutet Stress. Das Suchen bei Tiere sorgt dafür, dass sie eine Lebenstüchtigkeit durch einen souveränen Umgang mit der Umwelt erreichen. Bei uns ist es etwas komplizierter, weil wir Bewusstsein haben, und dadurch wissen wir ganz genau, dass das Leben brutal und unvorhersehbar ist. Und das wissen wir immer, egal ob wir uns zufällig gerade in Sicherheit befinden. Vielleicht haben wir deshalb die Fähigkeit entwickelt, das Suchen in die Länge zu ziehen, damit wir durch die Transzendenz eine Art temporäre Entlastung von der Grauenhaftigkeit der Existenz erleben können. Hier ist bestimmt der Evolutionsvorteil von Transzendenz: So bald ein Tier bewusst wird, kann er die Unkontrollierbarkeit das Leben spüren, und dann hätten die jenigen in der Spezies, die eine Fähigkeit entwickeln, diese Gefühle zeitweise zu lindern, mehr Lebenswille und dadurch ein evolutionäres Vorteil.

Ich fühle mich von diesem Bild von Transzendenz richtig angesprochen. Suchen finde ich eine gute Beschreibung meines Gefühls beim Kunstmachen: ich bin in einer ständigen Erwartungshaltung wenn ich Kunst mache. Ich hoffe immer das was Gutes kommt. Und dass die Kunst durch das Erleben von Transzendenz mir Trost und ein Gefühl von Sicherheit bringt steht außer Frage. Sie gibt mir so dermaßen das Gefühl, dass ich die Welt unter Kontrolle habe. Ich schaue mir ein schönes Kunstwerk an, ich erlebe Transzendenz, und ich denke, wenn es so was gibt, kann einfach nicht Schlimmes passieren.

So wird die Abfolge sein: Die Kunst bietet mir was Unbekanntes an, ich werde Neugierig und Erwartungsvoll und das Gefühl ist schön. Das Gefühl kann man Suchen oder Transzendenz nennen. Ich habe das Gefühl es öffnet sich unendliche Möglichkeiten vor mir. Passend dazu, dass ich mich eigentlich in einem Moment der Stille, in dem ich mich zwischen Angst oder weiterforschen entscheide, ist auch eine gewisse Furcht da. Auf jeden Fall spüre ich die körperliche Anzeichen davon: Mein Herz schlägt lauter, mein Atem wird schwerer, mein Gehirn ist leer, ich bin hyperaufmerksam und mein Körper ist angespannt und bereit für Flucht oder Kampf. Aber die Furcht beunruhigt mich nicht. Sie bleibt im Körper als eine Art Lebensversicherung und kommt nicht im Kopf an. Wenn ich nachher weggehe, habe ich das Gefühl, ich habe was erlebt (überlebt) und ich bin dadurch stärker geworden. Mir wurde was geschenkt, das ich vorher nicht hatte. Ich habe durch die Kunst einen Weg gefunden, mit dem ich mich in der Welt sicherer fühlen kann.

Wie angekündigt, war das alles Quatschwissenschaft, aber auf irgendetwas Wahres musste ich trotzdem gestoßen haben. Ich habe den Textabschnitt mehrmals gelesen, und ich wusste am Schluss überhaupt nicht, was ich damit sagen wollte. Also wollte ich mir ein Bisschen Klarheit schaffen, und habe deshalb den letzten Absatz geschrieben, in dem ich versuche die mögliche Abfolge genau zu beschreiben. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, es mag wohl Quatschwissenschaft sein, aber so fühlt es sich tatsächlich an. Aber wirklich. Also lasse ich diese Absätze stehen, in der Hoffnung, dass einer meiner Betrachter was darin finden kann, was ihn zu richtig vernünftige Gedanken bringt.

Unlogischerweise aber, obwohl ich wirklich glaube, dass das Gefühl von Transzendenz rein wissenschaftlich erklärt werden kann, merke ich jetzt, dass ich mich trotzdem heimlich dagegen strebe. Heimlich denke ich es geht doch um die Kunst und die Kunst ist mein Lebensinhalt und sie muss mehr bedeuten als ein Kreislauf von Botenstoffe. Das ist aber ein perfektes Beispiel von fehlerhaftem Denken. Ich strebe mich dagegen, meinen nostalgischen Traum aufzugeben. Ich halte fest an meine romantische Vorstellung von der Kunst, und von mir als Künstlerin, als was ganz Besonderes. Vielleicht habe ich Angst, dass ich mich nicht mehr in die schöne Gefühle gehen lassen kann, wenn ich weiß, dass es sich nur um einen biologischen Ablauf im Gehirn handelt. Aber alles was ich erlebe oder fühle besteht sowieso aus nichts Anderes. So funktioniert ein Gehirn. Mein von Botenstoffe verursachte Gefühl von tragischem Verlust kann ich haben, wenn mir danach ist, muss ich aber nicht.

Ich finde was ich hier erzähle recht banal und offensichtlich. Ich habe aber den Auftrag bekommen, meinen persönlichen Zugang zur Kunst zu vermitteln, und muss deshalb diese schon extrem überbearbeiteten Themen ansprechen, weil sie es sind, die meine Arbeit antreibt. Banal oder nicht bin ich einfach getrieben, die Antworten zu gewissen Fragen zu finden:

Was bedeutet Kunst? Was ist die Kunst überhaupt? Woher kommen Gefühle der Transzendenz beim Betrachten von Kunst? Was ist die Verbindung zwischen Transzendenz und Schönheit? Was ist Schönheit? Ist die einzige Funktion oder Bedeutung der Kunst die Vermittlung von Schönheit? Und wenn es so ist, wofür soll die Schönheit überhaupt gut sein? Ist Schönheit ein subjektives Erlebnis oder eine objektive Qualität? Ist Schönheit steuerbar - kann man sie absichtsvoll produzieren? Ich drehe mich ständig im Kreis.

Besonders die Fragen zur Schönheit bringen mich ernsthaft in den künstlerischen Selbstzweifel. Ich arbeite sehr gerne mit Konzepten, die ich als wesentlich für meine Arbeit sehe. Ein straffes konzeptuelles Grundgerüst für meine Arbeiten gibt mir das Gefühl, das sonst unerträglich selbstgefällige Künstlersein rechtfertigen zu können. Es stillt sehr viele vorwurfsvolle Stimmen, die sonst in meinem Kopf herumkursieren würden. Es kann aber ganz gut sein, das die Konzepte viel eher dafür da sind, um von meiner Unfähigkeit Schönheit zu produzieren, abzulenken.

Ich weiß, dass ich die Produktion von Schönheit nicht bewusst steuern kann. Wenn sie manchmal kommt, so wie im Video, dann nur durch Zufall. Aber vielleicht gibt es tatsächlich Künstler, die Schönheit gesteuert produzieren können, und vielleicht ist diese Fähigkeit, die Eigenschaft, die wir als Talent bezeichnen. Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass es diese Fähigkeit gibt. Ich kann mir einfach überhaupt nicht vorstellen, wie jemand mit Absicht etwas so ungreifbar wie Schönheit produzieren sollte. Ich tendiere eher zu der Meinung, dass Absicht beim Talent (wir gehen erstmal einfach davon aus, dass es so was gibt) überhaupt keine Rolle spielt. Das Produzieren von Schönheit wäre dann eine eingebaute Fähigkeit des Hirns, was theoretisch immer zufällig aktiv werden könnte, so wie bei mir im Video (es versteht sich, dass ich hier keine Aussage über mein eigenes Talent mache). Das es aber auf jeden Fall Künstler gibt, bei den diese Fähigkeit häufiger aktiv wird als bei Anderen, steht außer Frage, und vielleicht bei diesen Künstlern können wir von Talent sprechen. Vielleicht haben diese Künstler eine bestimmte biologische Besonderheit im Hirnaufbau.

Talent scheint auf jeden Fall eine andere Art von biologischer Qualität zu sein, als die, die für das Erlebnis von Transzendenz zuständig ist. Unsere Fähigkeit Transzendenz zu erleben, können wir aufbauen, in dem wir die Situationen, die in uns das Gefühl auslösen, gezielt aufsuchen und dadurch die verantwortliche Verbindungen im Hirn verstärken. Transzendenz kann geübt werden, weil wir sie letztendlich erkennen, wenn wir sie erleben. Aber wenn wir die Produktion von Schönheit nicht bewusst steuern können, können wir es auch nicht üben. Das scheint auch durch Beobachtung bestätigt: Es gibt sehr viele sehr geübte Künstler, die Schönheit in ihrer Arbeit trotzdem nicht häufiger erreichen, als man von einem Zufallsprozess erwarten würde, und andere Künstler, bei denen die Schönheit in viel größerem Ausmaß vorkommt, als ihnen jemals durch Übung oder Zufall zustehen würde.

Es ist aber gut möglich, dass ich mir mit dieser Theorie nur eine Ausrede finden will. Eine Ausrede dafür, dass ich offensichtlich nicht fleißig genug geübt habe. Aber das Problem bleibt, dass ich nicht weiß wie ich etwas hätte üben können, die ich nicht bewusst steuern kann. Das Video hatte ich letztendlich schon mit einem anderen Titel versehen, bevor ich die Schönheit darin überhaupt erkannt habe. Übung könnte bei mir nur auf eine unbewusste Ebene funktionieren, wo das Hirn sich selber darum kümmert immer wieder das gleiche zu tun, damit die biologischen Vorgänge verstärkt werden. Und wenn mein Hirn das könnte, hätte ich wahrscheinlich Talent. Um ans Talent durch Fleiß zu gelingen müsste ich immer beim Arbeiten ein genaues Protokoll führen, um die genaue Momente festzustellen, in den ich was Schönes produziere. Ich könnte dann diese Momente analysieren und versuchen sie zu wiederholen, indem ich die genaue Konstellation von räumlichen, körperlichen, emotionalen und gedanklichen Besonderheiten wiederherstelle. Ich weiß aber nicht wie das gehen soll. Was ist, wenn ich was produziere, die ich erst eine Woche später als schön erkenne? Während ich arbeite, müsste ich alles was ich mache, denke und fühle ununterbrochen aufschreiben, aber dann hätte ich keine Zeit überhaupt etwas zu produzieren, was ich dann später möglicherweise als schön erkennen könnte.

Die Frage nach Talent ist immer mehr oder weniger quälend für einen Künstler. Wenn Talent irgendetwas ist, was man hat oder nicht, sind Bemühungen, Schönheit zu produzieren, eine reine Zeitverschwendung. Entweder kann man es oder man kann es nicht. Um den Qual zu entkommen, habe ich vor Jahren den Entschluss gefasst, ich würde nur Arbeiten machen, die sich nicht auf Talent verlassen, sprich keine Arbeiten ohne zusätzlichen konzeptuellen Inhalt. Ich würde mich auch ganz bewusst nicht danach streben, Schönheit zu produzieren. Ich wäre dann Künstler, weil ich Kunst mache, und als Künstler kann ich nur das leisten, was ich leisten kann. Inzwischen weiß ich aber ziemlich genau, dass diese Haltung im Grunde konzeptueller Schwachsinn ist. Sie hat lediglich die Funktion, mich von ein bisschen Selbstzweifel zu schützen, in dem diese Entscheidung das Bedürfnis mich ständig mit Anderen zu vergleichen überflüssig macht (es hindert mich natürlich nicht daran aber ich kann es dann als einen unwesentlichen Film betrachten, der nur in meinem Kopf abspielt und worauf ich nicht achten muss). Und jetzt muss etwas einmal klar gesagt werden: Es gibt wirklich keine andere Bestimmung der Kunst, außer Schönheit zu produzieren, um die daraus folgendes Erlebnis der Transzendenz zu erzeugen. Für alles Andere - Aussagen über Wissenschaft, Politik, Moral, Ethik etc. - gibt es viel effektiverer Methoden. Man kann sie als Nebenerzeugnisse in der Kunst einbauen, aber allein reicht das nicht.

Jetzt muss ich (schon wieder, es passiert mir ständig) mit Entsetzen feststellen: Wenn ich Konsequent wäre, würde ich jetzt mit dem Kunstmachen aufhören. Wenn ich keine Schönheit produziere, mache ich entweder keine Kunst oder ich mache Kunst, deren wahre Bestimmung ich sie bewusst vorenthalten habe. Ich will aber nicht aufhören. Und einen Ausweg - zugegebenermaßen nur ein sehr schwache Trost - habe ich gefunden. Angenommen mir fehlt das Talent, Schönheit zuverlässig zu erzeugen, bleibt mir noch die Möglichkeit zum Selbstausdruck. Kunst ist eine völlig legitime Methode, um mein Erleben der Welt und mein Erleben von mir selbst auszudrücken, einfach weil es genauso effektiv wie andere Methoden sein kann. Ein höherer Zweck ist es aber nicht. Ein gewisse Enttäuschung gehört dazu: Ich hätte gerne das Transzendenz steuern können. Jetzt kann ich lediglich behaupten, dass ich dem Betrachter auch so eine Art Kontakt zu Etwas außerhalb von sich anbiete, in dem ich ihm ein Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen (mit mir) ermögliche. Eine geschwächte Mini-Transzendenz also. Es ist aber enttäuschend. Es ist nicht das, wovon ich geträumt habe und es ist nicht das, wofür ich die Kunst liebe.

Zum Glück aber, gibt es einen zweiten, viel besseren Ausweg, um diesen Konflikt zu entkommen. Nehmen wir an, dem ganzen Problem entspringt eine kulturelle Verseuchung meinerseits. Ich hatte schon immer einen Traum. Ich wollte Kunst machen. Ich wollte Schönheit schaffen. Ich habe geglaubt, die Kunst verkörpere eine höhere Wahrheit. Dann wurde mir klar, dass ich diesen Traum nie erfüllen werde. Dafür müsste ich in der Lage sein, die Schönheit zuverlässig zu produzieren. Und das kann ich nicht. Ich laufe irgendetwas hinterher, was ich nie erreichen kann. Ich könnte mich mit therapeutischen Maßnahmen heilen, in dem ich mich selber zu schätzen lerne, und lerne mit dem, was ich mache, zufrieden zu sein. Aber sich mit Etwas zufrieden zu geben, wenn ich genau weißt, es ist nicht das, was ich erreichen will, ist und bleibt tragisch. Meinen Traum gebe ich auf. Eine andere Möglichkeit gibt es aber. Ich müsste meinen Traum endlich ein für allemal als romantische Schwachsinn erkennen. Es sollte mir gar nicht so schwer fallen. Eigentlich verabscheue ich diese Romantik. Aber warum komme ich trotzdem so schwer davon weg? Genau hier finden wir meine kulturelle Verseuchung. Ich bin kulturell vorprogrammiert, nach Bedeutung zu suchen. Mehr ist es nicht.

Wäre ich wirklich konsequent, hätte ich schon länger mich von der Sehnsucht und dem Traum, und der daraus folgende künstlerischen Selbstzweifel, verabschiedet. Die Kunst kann einfach nichts bedeuten. Einerseits behaupte ich, die Bestimmung der Kunst sei die Schönheit, anderseits behaupte ich, die Schönheit sei ein rein biologisches Erzeugnis von Botenstoffe im Gehirn. Einerseits sagt mir mein Traum, dass die Kunst eine höhere Wahrheit verkörpere, anderseits behaupte ich, Gott existiert nicht. Aber sobald ich von einer höheren Wahrheit spreche, bin ich, egal wie ich das drehe, beim Gott. Und jetzt kann es aber wirklich spannend werden: Wenn ich einsehe, dass die Kunst keine Bedeutung hat, dann muss ich genauso einsehen, dass das Leben keine Bedeutung hat. Und dann hat Bedeutung als Begriff keine Bedeutung. Und jetzt kann ich mich erst recht entspannen, weil wenn Bedeutung nichts mehr bedeutet, Bedeutungslosigkeit auch nichts mehr bedeutet. Beide Begriffe sind völlig überflüssig. Und alles was mir übrig bleibt ist das blinde Genießen. Das schöne Gefühl der Transzendenz. Verstehen muss ich nichts mehr. Und um an diese Transzendenz zu gelingen muss ich weder Schönheit noch Talent im Anspruch nehmen.

Aber glaube ich das wirklich? Zum Schluss muss ich etwas über den Text (die Arbeit) an sich sagen. Den Text zu schreiben fand ich extrem schwierig. Ich wollte eine Textarbeit produzieren, dass, obwohl in der Schreibweise absichtlich informell gehalten, passend zu einem gesprochenen Text also, trotzdem eine sehr durchdachte, klare Aussage vermittelt. Die Aussage hätte ruhig so werden können, dass den persönlichen Zugang zur Kunst zu vermitteln eigentlich nicht möglich ist. Aber je mehr ich schreibe, desto klarer wird es mir, dass es nicht nur unmöglich ist in diesem Fall meinen persönlich Zugang zu Kunst zu vermitteln, sondern auch meinen persönlichen Zugang zu Kunst selber zu wissen. Ich frage mich, ob dieser Ignoranz ein Versagen meinerseits ist, oder eine notwendige Voraussetzung ist, weiterhin künstlerisch aktive zu bleiben. Ich tippe aber eher auf die zweite Möglichkeit, und nicht nur weil ich mein Versagen nicht wahrhaben will. Ich glaube, wenn ich wüsste was ich mache, und warum ich es mache, würde ich es nicht mehr machen müssen, und nicht mehr machen wollen. Aber ich will es.

Vielen Dank für das Lesen/Zuhören/Betrachten.

Für den Rest der 90 Minuten gehen Sie Kaffeetrinken, Genießen Sie Ihr Leben und freuen Sie sich auf die nächste Veranstaltung.

Lucy Harvey